18. Oktober 2017

Shitstorm und Kontext

Zu den Kommunikationsformen im Internet gehört seit einiger Zeit der "shitstorm". Jemand reißt eine Äußerung oder einen Vorfall aus dem Zusammenhang, interpretiert ihn in möglichst negativer Weise und zirkuliert das dann mit einem empoörten Kommentar in seinem Netzwerk. Und alle die das entsprechende Welt- oder Feindbild teilen, verbreiten die Empörung mit eigenen Kommentaren weiter. Ab einer gewissen Resonanz gilt dann die häufige Wiederholung der Vorwürfe und die erzielte Reichweite als Beleg dafür, daß es wirklich Grund für Empörung gab.

Aktuell liefert die Berliner Staatssekretärin Chebli ein Beispiel dafür, daß man mit einem Vorfall gleich zwei, und zwar entgegengesetzte, shitstorms auslösen kann.
Einmal der von ihr gewünschte: Wieder einmal ein Beispiel dafür, daß Männer Frauen herablassend behandeln und sie trotz oder wegen ihres beruflichen Erfolgs mit auf die Person zielenden Sprüchen angreifen.
Zum Anderen aber ein gegenläufiger shitstorm der Art, sie solle sich nicht so anstellen, ein Mann dürfe ja wohl einer Frau noch ein Kompliment machen. Wo sie schon dabei sind thematisieren auch viele Beiträge noch die Vermutung, sie hätte ihren Posten ohnehin nur wegen Quote jung/Frau/Migrationshintergrund bekommen.

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Der zweite Shitstorm ist leicht abzuhandeln.
Jemand kann auch für ein Amt geeignet sein, obwohl diverse Quoten zutreffen. Ob Frau Chebli ihren Job gut oder schlecht macht, das müßte man völlig getrennt recherchieren.
Auch das mit dem Kompliment paßt nicht. Natürlich kann ein Mann einer Frau ein Kompliment machen - aber die entscheidende Frage ist halt, in welchem Zusammenhang das geschieht. Und da gilt als Grundregel: Persönliche Komplimente gehören in den privaten Bereich, im beruflichen Bereich (und dazu gehören politische Auftritte) sind sie fast immer falsch.

Wobei es auch da natürlich auf den Kontext ankommt, ob nun "Sexismus" oder Schlimmeres zu konstatieren ist.
Das eine Ende der Skala fängt wohl an, wenn jemand z. B. die neue Praktikantin mit den Worten einführt: "Sie sieht nicht nur gut aus, sondern wird uns jetzt auch zu einem interessanten Thema vortragen". Das ist zwar nicht wirklich korrekt, aber die freundliche Absicht steht deutlich im Vordergrund.
Sagt dagegen jemand nach dem Vortrag einer Kollegin: "Leider war Ihr Vortrag nicht so gut wie Ihr Aussehen", dann wäre das wohl Grund für eine Abmahnung.

Kommen wir nun zum ersten shitstorm. Der ist schon mal sehr davon abhängig, welcher Schilderung des Vorfalls man folgt.
In Cheblis Darstellung sieht es so aus, als hätte der Moderator zuerst einen groben Fehler gemacht und sie nicht korrekt begrüßt, um das dann mit plumpen und nicht angebrachten Komplimenten zu überspielen.
Das wäre nun eine deutlich falsche und kritikwürdige Reaktion. Man könnte das dann durchaus als Sexismus werten.
Allerdings verwundert, wie hoch sie den Vorfall aufhängt, von wegen sie wäre "total geschockt" gewesen und sie habe "so etwas noch nie erlebt".

Ganz anders stellt sich die Bewertung dar, wenn man einer Zeugin folgt. Und diese Darstellung ist m. E. ziemlich glaubhaft, weil sie einige Merkwürdigkeiten in Cheblis Darstellung erklärt.

Dazu sei kurz dargestellt, wie so etwas üblicherweise läuft. Ein Veranstalter fragt bei einer Behorde (hier dem Senat) nach einem Vertreter (oft mit konkretem Wunschkandidaten), der bei einer Veranstaltung auftreten soll. Üblicherweise mit einem Grußwort. Das Büro des Angefragten sagt dann den Termin zu.
Wenn der Betreffende dann zur Veranstaltung kommt, wendet er sich zuerst an den Veranstalter. Wenn keine persönliche Bekanntschaft vorliegt, dann fragt man sich eben durch. Der Veranstalter sorgt dann dafür, daß der Gast zu seinem reservierten Platz geführt wird und dem Moderator der Veranstaltung vorgestellt wird. Damit weiß dieser, welcher Gast zu welchem Tagesordnungspunkt etwas beitragen wird.

Im konkreten Fall kam Chebli zu spät. Das ist ärgerlich, aber noch kein Beinbruch. Anstatt nun aber zum Veranstalter zu gehen (und sich auch für die Verspätung zu entschuldigen), setzte sie sich wortlos ins Publikum. Und ließ den Moderator und die übrigen Gäste auf dem Podium schmoren. Und erst als der Moderator dann nach einiger Wartezeit die Veranstaltung eröffnen wollte, meldete sie sich mit "Die Staatssekretärin ist da und sitzt vor Ihnen."
Das ist insgesamt ein extrem unhöfliches, fast provokatives Verhalten. Sie sorgt für eine sehr peinliche Situation, und schiebt dann noch dem Moderator die Schuld zu.
Dieser Autor kennt genug Podiumsmoderatoren, die in so einer Situation klares Kontra gegeben hätten, nach dem Motto: "Wenn Sie sich schon verspäten, dann stellen Sie sich wenigstens bei mir vor".

Bei der DIG war der Moderator aber friedlicher aufgelegt. Wahrscheinlich als altgedienter Diplomat auch daran gewöhnt, Konflikte nicht zu eskalieren, sondern möglichst einen höflichen Ausweg zu finden. Deswegen reagierte er auf Cheblis Vorwurf mit einer Erklärung, warum diese nicht erkannt worden wäre - er hätte keine so junge Frau erwartet.
Und das ist nun bestimmt kein Sexismus. Es ist völlig legitim darüber zu sprechen, wie man das Alter einer Person in Bezug auf ihr Amt einschätzt - siehe aktuell die letzten Wahlkampfwochen mit Christian Lindner und Sebastian Kurz.

Und dann sagt er den kritischen Satz: "Und dann sind Sie auch so schön."
Das ist jetzt tatsächlich eine Aussage, die nicht so ganz zur Situation paßt. Und die er zu einem Mann nicht gesagt hätte.

Aber zum Kontext gehört eben nicht nur, daß er hier in deutlicher Absicht versucht nett zu sein und eine peinliche Situation zu entschärfen.
Zum Kontext gehört auch, wer etwas sagt.

Die Vorstellungen einer Gesellschaft, was zulässig, was höflich, was nett und was unangemessen ist ändern sich beständig. Manche Grundsätze bleiben stabil, andere wandeln sich von Generation zu Generation. Und dabei wird nicht erwartet, daß alle Menschen diese wechselnden Gewohnheiten mitmachen.
Welche Sprüche und welche Grenzen die junge Generation untereinander für zulässig halten ist die eine Sache. Wie man sich beim 90. von Großtante Hortense benimmt ist eine ganz andere.

Und wenn ein pensionierter Botschafter, ein Kavalier alter Schule, in altertümlicher Weise Komplimente macht - dann ist das eben etwas völlig Anderes als wenn Chebli von einem Gleichaltrigen auf dem Podium mit süßen Sprüchen angemacht wird.

Nein, es gibt hier keinen Anlaß für "Sexismus"-Vorwürfe. Sondern nur eine Politikerin, die sich erst extrem unhöflich benimmt und dann ihre Gesprächspartner durch absurde Vorwürfe im Internet an den Pranger stellt.

Übrigens ein Verhalten, daß gerade für ihren Job mit Zuständigkeit für Interkulturelles völlig unangemessen ist. Für den bräuchte man Leute, die sehr höflich und sehr einfühlend mit verschiedenen kulturellen Vorstellungen umgehen und zwischen diesen vermitteln können. Also ziemlich das Gegenteil von Frau Chebli.

R.A.

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