7. September 2017

Warum lasst ihr sie nicht reden?

Lass die Leute reden, denn wie das immer ist: 
Solang die Leute reden, machen sie nichts Schlimmeres 
Und ein wenig Heuchelei kannst du dir durchaus leisten 
Bleib höflich und sag nichts - das ärgert sie am meisten
(Die Ärzte: "Lasse reden", 2007)

Ich wollte eigentlich gar nix zum "Schnittchen"-Eklat in der selbst für den momentanen Zustand der Diskussionsunkultur unterirdischen Politblubberrunde "Wie geht's Deutschland" schreiben, obwohl ich sie zufällig sogar live gesehen habe (mein Masochismus scheint tatsächlich gar keine Grenzen zu haben...).

Was mich dann doch dazu veranlasst hat, ist ein ganz anderes Ereignis - nämlich die Abschaltung meines liebsten Feindes in der Blogosphäre - des Honigmanns. Dieser Blog hatte für mich immer eine karthatische Funktion - egal was ich mir im Alltag, im Fernsehen, im Netz an kapitalem Schwachsinn anhören musste - zwei, drei Seiten Honigmann haben das wieder zurechtgerückt. Mir sind zwar die genauen Hintergründe nicht bekannt - macht Wordpress ebenfalls eine "Netzwerkdurchsetzung"? Da das Blog ja von mehreren Autoren betrieben wird, ist mir nicht mal klar, ob ihn die niedersächsische Justiz gerade eingekastelt hat oder nicht. Aber egal, der Honigmann ist offline, und das finde ich schade. Denn dieser Typ disqualifiziert sich einfach am erfolgreichsten durch seine 10.000 Beiträge, die jetzt nur noch mühsam mittels Waybackmachine zu finden sind. Und das wirft - genau wie der Verlauf dieser Talkrunde natürlich grundsätzliche Fragen auf.

Dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz grundrechtlich fragwürdig und politisch eine Katastrophe ist, ist ja nur eine Seite der Medaille, die glaube ich ausreichend beleuchtet ist. Deswegen mag ich mal eine andere Frage diskutieren: Ich habe im letzten Beitrag dargestellt, dass ich die AfD-Protagonisten im Schnitt für so inkompetent und unseriös halte, dass jenseits der Protestfunktion nichts von ihnen zu erwarten ist (nein, nicht mal die Rettung des Abendlandes). Das gilt noch mehr für den Honigmann, weil jeder, der noch alle Steine auf der Schleuder (Geröllheimer) hat, von selber erkennt, was dort für absurder Müll fabuliert wird. 

Was versprechen sich also diejenigen davon, die - qua Gesetz oder Berufsethik - eigentlich zur Neutralität angehalten sind, von ihren Versuchen, bestimmte Meinungen aus dem Verkehr zu ziehen oder zumindest als inakzeptabel darzustellen? Warum macht sich Frau Slomka selber zur besten Wahlkämpferin der AfD? Es ist doch offensichtlich, dass dieser Umgang lediglich Frau Weidel hilft und mich möglicherweise am Ende noch meinen Himbeergeist kostet. Denn die kann natürlich mit ihrer Geschichte, die genau ins Bild ihrer Wähler passt, bei diesen punkten.

Ich glaube ja mittlerweile nicht mehr, dass es um "Inhalte" geht. Auch nicht nur um Regierungstreue, auch wenn es natürlich die Filterblase des politischen Berlin (aka PRD) gibt. Es geht um nichts anderes als "Haltung", auf das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Und die ist, wie Studien belegen, bei einem großen Anteil der Journalisten durchaus deutlich links von der Mitte.

Das ist zunächst einmal nur menschlich, und der Anspruch von Friedrichs, "sich mit keiner Sache gemein zu machen, nicht einmal mit einer guten" ist durchaus ein hehrer. Glauben Sie nicht? Dann schließen Sie einmal die Augen und versetzen Sie sich in die Lage eines leidenschaftlichen Merkel-Gegners - was die Phantasie vieler Leser nicht gerade überfordern sollte:

Sie stehen auf einem Podium an einem Stehpult, auf der anderen Seite steht die Bundeskanzlerin, und im Publikum sitzen 300 handverlesene Gleichgesinnte von Ihnen. Frau Merkel faltet die Hände auf die gewohnte Art und Weise beginnt im  unverkennbaren Uckermärker Monoton, der Ihren Blutdruck schon im Fernsehen in gesundheitlich bedenkliche Höhen schnellen lässt, über die Willkommenskultur zu schwadronieren. Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Phrase jagt die andere. Das Publikum, bar jeder Neutralitätsverpflichtung, beginnt zu murren und zu pfeifen, und sowohl Ihr eigener Wunsch, die Totengräberin des Landes, wenn schon nicht im Starnberger See zu versenken, dann wenigstens mal in der Öffentlichkeit zu stellen, als auch die durchs Studio wabernden Erwartungen bringen Sie ordentlich ins Schwitzen. Sie haben die besten Absichten, neutral zu bleiben. Aber ein kleiner Kobold in Ihrem Hinterkopf flüstert: "Knapp 40% in den Umfragen" - und Ihnen fällt siedend heiß ein: "Wenn ich die ausreden lasse - die da draußen glauben ihr das! Dass wir 'das schaffen', dass es Deutschland 'noch nie so gut ging', 'alles alternativlos' usw.". Halten Sie durch?

Sie werden zu Recht anmerken, dass dieser Vergleich hinkt, denn an Journalisten sollte man - im Friedrichschen Sinne - natürlich höhere professionelle Ansprüche stellen. Von einem Arzt kann ich schließlich auch verlangen, dass er allen Menschen ohne Ansehen der Person gleichermaßen eine kompetente Behandlung zukommen lässt. Wie gesagt, dieser Haltungsjournalismus ist aus professioneller Sicht ein Problem an sich, keine Frage. Aber warum halten so viele daran fest, obwohl er ja offensichtlich erfolglos ist? Allein die Emotionen erklären das nicht. Die Antwort liegt am Ende meines Beispiels: Weil sie - ähnlich wie Sie als Merkelgegner die CDU-Wähler - ihre Zuschauer für uneinsichtig und erziehungsbedürftig halten. Die Praxis des "keine-Plattform-Bietens" und "nicht-salonfähig-Machens" ist nicht nur einer demokratischen Kultur unangemessen, es ist auch aus Sicht eines überzeugten AfD-Gegners ein fataler Irrtum. 

Beispiel Frau Weidel: Das Einzelinterview auf Phoenix war zwar angemessen kritisch (wie es sich gehört vor einer Wahl), aber keineswegs respektlos. Ich persönlich finde ja nicht, dass sie sich recht gut geschlagen hat, vor allem bei der Frage, wie sie es sich logistisch vorstellt, 350.000 Personen auf einen Schlag abzuschieben, aber Verzweifeltere als ich mögen das anders sehen. Mindestens genauso gut und aufschlussreich war das DW-Interview mit Gauland, von dem ich behaupten möchte, dass es vor dem Hintergrund der Moderatoren für einen ÖR-Sender eine respektable Leistung war. Immerhin handelt es sich um die ehemalige taz-Shefin Ines Pohl, eine der wahrscheinlich linksten Journalistinnen Deutschlands, und den gebürtigen Libanesen Jaafar Abdul Karim, der 2015 auf einer Pegida-Demo verprügelt worden ist. Ich kann mir vorstellen, dass denen - rein von ihrer politischen Haltung her - in Anwesenheit von Herrn Gauland durchaus ein ganzer Messerblock in der Tasche aufgegangen ist. Trotzdem haben die das Interview zwar kritisch in der Sache, aber anständig im Umgang geführt und sich gegen die "Keine-Plattform"-Strategie entschieden. 

Hat es der AfD genützt? Schwer zu sagen, aber sicherlich weniger als der Weidel-Eklat. Und es hat mir wieder ein bisschen Respekt vor öffentlichen Medien zurückgegeben. Es ist zwar traurig, dass das einer extra Erwähnung bedarf, aber so ein Interview zeugt auch von Respekt vor dem Zuschauer, der dadurch die Möglichkeit hat, sich seine eigene Meinung zu bilden. Die meisten selbsternannten Welterklärer ertragen das nicht.

Mein Vorschlag zur Problemlösung: Sendet doch mal 24 Stunden Höcke, Poggenburg und Elsässer ungefiltert und unkommentiert am Stück. Das wäre ein wahrer Beitrag zur Informationsfreiheit, und die AfD gewinnt dadurch garantiert keine einzige Stimme dazu.  Wahrscheinlich sogar eher das Gegenteil, denn sie zehrt ganz ordentlich von ihrem Paria-Mythos. 

Darauf einen Himbeergeist!
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Meister Petz

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