12. September 2017

Ein bisschen Polit-Esoterik: Zum tieferen Sinn in Jens Spahns Äußerung über englisch sprechende Kellner

Der Verfasser dieser Zeilen dachte ursprünglich, zu Jens Spahns Äußerung über englisch sprechendes Gastronomiepersonal in Berlin nichts schreiben zu müssen. Denn augenscheinlich war die öffentlichkeitswirksame Indignation des Parlamentarischen Staatssekretärs nur der Aufhänger dafür, eine in der CDU einstmals allgemein geteilte, nach zwölf Jahren Merkel-Kanzlerschaft jedoch als beschämend konservativ geltende Ansicht über den kulturellen Wandel und das dagegen bestehende Sicherheitsbedürfnis des einfachen Mannes in einem durch und durch fadisierenden Wahlkampf zu platzieren. Vom politischen Kalkül her erinnerte das alles ein bisschen an Wolfgang Thierses Schrippen-Kampanilismus.

Doch man kann der Äußerung des Schäuble-Adlatus freilich auch einen über das Erzielen von Publicity-Punkten hinausreichenden Zweck zubilligen. So meint Andrea Hanna Hünniger auf ZEIT-Online, Spahn wolle sich mithilfe seiner Attacke auf die alloglotte Hipster-Community ein neues Feindbild dienstbar machen. Dies habe etwas mit einem „Rechtsruck“ zu tun, dessen „Schwellenhüter […] die Konservativen“ seien. Sobald sich diese einer Koalition mit den Unsäglichen öffneten, werde „der Ultranationalismus mehrheitsfähig“. Im Fall des 37-jährigen Unionsmannes stellt die Autorin „kontrafaktisch“ die Frage, ob dieser nicht den Pakt mit dem ideologischen Teufel einginge, wenn im Gegenzug dafür das weiche Polster des Regierungschefsessels winkte.

­Zwar hält der Verfasser dieser Zeilen die zitierten Spekulationen für ein linkes Schauermärchen. Doch immerhin haben ihn Hünnigers Anmerkungen zu der Reflexion animiert, ob Spahns Einlassungen auch auf einer höheren Ebene Bedeutung zukommt. Und tatsächlich kann man die Wortspende des Abgeordneten des Wahlkreises 124 mit ein bisschen politesoterischer Phantasie als Symptom eines Unbehagens darüber begreifen, welche Bevölkerungskreise sich spätestens seit dem Herbst 2015 zur CDU hingezogen fühlen.

Es ist ja kein Geheimnis, dass der Mutti der Nation seit dem Ausstieg aus der Atomkraftwerke-Laufzeitverlängerung und der Öffnung der deutschen Grenzen für die migrierende Weltgemeinschaft links schlagende Herzen zufliegen, die es noch vor zehn Jahren nicht über sich gebracht hätten, den (nominell) Konservativen ihr Kreuzerl zu schenken. Vor zwei Jahren brach in den Reihen der Künstler, Intellektuellen, Journalisten und sonstigen Menschen, denen man zuhört, obwohl sie nichts Relevantes zu sagen haben, ein regelrechter Merkel-Enthusiasmus aus. So wie das Land im Sommer zuvor noch dem Super-Mario im Adlertrikot zugejubelt hatte, der unsere Jungs endlich wieder auf den globalen Fußballthron gesetzt hatte, galt nun der frenetische Applaus der Multiplikatoren-Kaste der Bundeskanzlerin, die uns alle zu Moralweltmeistern machte.

Konservativ eingestellten Wahlberechtigten stößt der Umstand, dass die CDU nunmehr in grünen Gewässern fischt, zweifellos sauer auf. Und die bayerische Schwesterpartei kann schon deshalb nicht scharf nach links abbiegen, weil es im Freistaat auf dem betreffenden Feld einfach zu wenig Stimmvieh für die als Selbstverständlichkeit erwartete absolute Mehrheit gibt. Auch die Geschichte der SPD sollte bei den Unionsleuten die Alarmglocken schrillen lassen: Denn in dem Maße, wie Künstler, Intellektuelle, Journalisten und sonstige Menschen, denen man zuhört, obwohl sie nichts Relevantes zu sagen haben, die Alte Tante für ihre Zwecke kaperten, vergrämte diese ihre traditionelle Klientel und schwand zu einer traurigen zweiten Geige im Konzert der Bundespolitik.

Wenn man schon in Spahns Äußerung über angelsächsisch parlierende Speisenträger einen tieferen Sinn oder eine höhere Ebene erkennen möchte, als dies bei durchschaubarer Wahlkampfrhetorik der Fall wäre, so sollte man nicht an einen Hofknicks vor den Rechtspopulisten denken, sondern darin die Besorgnis sehen, dass die CDU zu einer grünen Hölle verkommt und dadurch ihre konservative Unterstützerbasis ins Nirgendwo der Urnenabstinenz oder aber in die blauen Berge treibt.

Noricus

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