14. September 2017

Die sieben Krim-Lügen

Nicht nur wegen der bevorstehenden Bundestagswahl kommt immer wieder das Krim-Thema hoch.
Und dazu kann man ja auch interessante Fragen diskutieren. Soll man nun die Sanktionen verschärfen oder lockern? Gibt es weitere Maßnahmen, mit denen der Westen auf Putins Eroberungspolitik reagieren kann? Welche weiteren Gesprächsangebote sollte man Rußland machen? Wie kann man die Verteidigungskapazitäten der NATO erhöhen? Und noch vieles mehr ...

Aber was man nicht mehr sollte: In den Diskussionen auf die verschiedenen Lügen einzugehen, mit denen Putins Unterstützer agieren und die immer wieder gebracht werden, um von den eigentlichen Themen abzulenken.
Daher nun einmal die Hitliste der sieben wesentlichen Propagandalügen zum Krim-Konflikt, damit diese ein für allemal erledigt sind.
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Nr. 7: Die völkerrechtliche Situation ist umstritten
Mit dieser Behauptung soll suggeriert werden, es gäbe da mehrere juristisch plausible Sichtweisen und die müsse man erst einmal klären, bevor man zu Maßnahmen greift.
Aber dem ist nicht so. Die völkerrechtliche Lage ist extrem einfach. Rußland hat die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine mehrfach anerkannt und vertraglich bestätigt. Nichts davon ist ungültig geworden.
Und es macht eine juristisch klare Situation nicht "umstritten", wenn der Täter abstreitet. Ein Einbruch ist nicht "umstritten", wenn man den Einbrecher mit dem Tatwerkzeug in der Hand und der Beute in der Tasche in flagranti ertaptt hat. Selbst wenn er seine Unschuld beteuert.
Die Krim gehört völkerrechtlich eindeutig zur Ukraine, solange kein von beiden Seiten ratifizierter Vertrag das ändert.

Nr. 6: Die NATO-Osterweiterung war Vertragsbruch, Putin reagiert nur
Zum Einen ist das schon als Argumentation Humbug. Selbst wenn irgendwo anders jemand das Völkerrecht verletzen oder Verträge brechen würde, gibt das weder Putin noch sonst jemanden selber das Recht, selber gegen das Völkerrecht zu verstoßen.Und zum Anderen ist der angebliche NATO-Vertragsbruch schlicht erlogen. Es gab nie einen Vertrag oder eine Absprache, in der die NATO den Verzicht auf eine Erweiterung zugesagt hätte. Im von Putin-Trollen hier oft genannten "Zwei plus Vier-Vertrag" steht nichts davon, auch nicht in allen folgenden Abmachungen, bei denen Deutschland, die Alliierten, die NATO oder die SU oder ihre Nachfolgestatten beteiligt waren.
Auch die oft behauptete mündliche Zusicherungen an die SU sind längst als Mythos entlarvt worden.

Nr. 5: Die Mehrheit der Krim-Bewohner wollte den Anschluß an Rußland
Auch hier gilt erst einmal: Als völkerrechtliches Argument ist diese Behauptung völlig irrelevant. Auch eine Mehrheitsmeinung in einem Gebiet ist noch lange keine Grundlage für eine Grenzänderung (sonst wäre Südtirol schon lange wieder bei Österreich).
Und auch hier ist schon die Behauptung inhaltlich fragwürdig. Es gibt keinen reellen Beleg dafür, was sich die Krim-Bevölkerung in dieser Frage wünscht. Die gültigen Referenden seit Unabhängigkeit der Ukraine bestätigen eher den ukrainischen Anspruch. Bei Wahlen haben separatistische Positionen nie eine Rolle gespielt, es gibt nichts den SNP-Wahlerfolgen in Schottland Vergleichbares.
Und das Fake-Referendum nach der russischen Besetzung ist weder zulässig gewesen noch vom Ergebnis her irgendwie glaubwürdig.

Nr. 4: Rußland braucht die Krim, damit seine Marine einen Zugang zum Schwarzen Meer behält
Das ist ein bei Pseudo-Strategen beliebter Punkt. Aber nur für solche, die noch nie einen Blick auf die Landkarte geworfen haben. Manche geographisch besonders Herausgeforderte schreiben sogar "Zugang zum Mittelmeer".
Nun ist es erstens für die völkerrechtliche Zugehörigkeit eines Gebiets völlig unerheblich, was Nachbarstaaten meinen strategisch zu brauchen. Es ist auch zweitens unsinnig, weil Rußland auch ohne die Krim einen Zugang zum Schwarzen Meer hat. Ohne diesen Zugang könnte Putin seine Beute auch gar nicht versorgen - denn den Landzugang haben seine Truppen in der Ostukraine noch nicht erobern können. Strategisch ist die Krim für Rußland derzeit eine Insel.

Nr. 3: Rußland konnte nicht zulassen, daß die NATO in Sewastopol einen Stützpunkt erwirbt
Das ist die Variante für die fortgeschrittenen Pseudo-Strategen. Angeblich hätte die Ukraine vorgehabt, die Russen von ihrer Basis auf der Krim zu vertreiben und den Hafen der NATO zu überlassen.
Für diese frei erfundenen Ideen gibt es nicht die Spur eines Belegs. Nicht nur, daß die Ukraine den Pachtvertrag mit Rußland verlängert hat und auch nie eine Kündigung forderte. Für die NATO wäre es völlig uninteressant, den russischen Stützpunkt in Sewastopol zu übernehmen. Es gibt bereits genug Marinekapazitäten der NATO am Schwarzen Meer, und strategisch ist dieses Meer ohnehin eine völlige Sackgasse. Ein Stützpunkt auf der Krim wäre für die NATO ein völlig überflüssiger und teurer Klotz am Bein.

Nr. 2: Chruschtows "Geschenk" der Krim an die Ukraine war illegal
Garniert wird diese These gerne noch mit gängigen Vorurteilen zu russischen Trinkgewohnheiten. Substanz hat das nicht.
Sicher ist nur, daß die Zuordnung der Krim zu Chrutschows Regierungszeit geändert wurde. Es gibt dazu fast keine seriösen Quellen, über die Motive gibt es verschiedene Spekulationen. Am wahrscheinlichsten ist, daß schlicht die Geographie ausschlaggebend war - die Krim hat eben nur eine Landverbindung zur Ukraine. Ob es nun Chrutschows Idee war oder nicht, die Umorganisation ist jedenfalls nach damaligen sowjetischen Usancen durchgeführt worden und wurde die komplette restliche SU-Zeit nie angezweifelt. Und auch nach der Unabhängigkeit hat Rußland nie eine angebliche Illegalität behauptet, sondern die neuen Grenzen anerkannt.
Für die völkerrechtliche Beurteilung von Grenzen ist ohnehin unerheblich, welche Motive irgendwann einmal zu einer Grenzziehung führten. Eroberung oder Kauf, Mitgift oder Wetteinsatz, Gebietstausch oder schlichter Irrtum eines Kartenmalers - es gibt so viele und teilweise abstrusere Gründe als der angebliche Chrutschow-Wunsch, warum ein bestimmtes Gebiet heute zu einem Staat gehört. Es ist müßig, diese Gründe zu diskutieren - es zählt am Ende nur der Vertrag, in dem die Gebietsverteilung festgeschrieben wurde.

Nr. 1: Die Krim gehört historisch zu Rußland
Das ist dann das Haupt"argument", auf dem Putins Außenpolitik insgesamt beruht. Die angeblichen historischen Zusammenhänge und Ansprüche Rußlands.
Die "historische" Begründung ist etwas für Leute, die vielleicht drei Seiten mehr Geschichtsbuch gelesen haben als der Durchschnittsbürger, aber den Charakter historischer Entwicklungen nicht begriffen haben. Historische Hintergründe sind wichtig und interessant um zu verstehen, warum sich etwas heute so darstellt, wie es aktuell ist. Aber "historische" Ansprüch ignorieren spätere Entwicklungen und damit die wirklich gültigen Grundsätze.

"Historisch" nach Putin-Art ist Deutschland 1966 Fußballweltmeister geworden - wenn man das Spiel nach der 12. Minute und Hallers Treffer abgebrochen hätte.
"Historisch" gehört Königsberg zu Deutschland. Und die Krim den Tataren. Oder den Goten oder den Griechen - je nachdem, wie weit man zurückgehen will.
"Historisch" ist Rußland ohnehin nur ein Vasallenstaat von Kiew - über die historische Begründung von Gebietsansprüchen dürfte der Kreml also erst dann anfangen zu reden, wenn Putin als eidbrüchiger Aufrührer vor den Stadttoren von Kiew gepfählt wurde.

Reden wir also nicht mehr über die sieben Lügen. Sondern nur noch darüber, wie es weitergehen soll und was man gegen die russische Besetzung der Krim tun sollte.
R.A.

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