30. Juli 2017

Eine Bankrotterklärung

Es gibt Momente, in denen sich jeder Kommentar erübrigt. In denen man sich auch den oft bemühten Rekurs auf Karl Kraus' Wendung "...fällt mir nichts ein" ersparen kann. So heute angesichts dieser Titelzeile des Tagesspiegels aus Anlaß des Hamburger Amoklaufes mit islamischer Grundierung vom Freitag (des wievielten eigentlich?). Was hier gefordert wird, ist nichts weniger als die Kapitulation des Rechtsstaats und die Preisgabe an die Barbarei. Fiat justitia et pereat mundi. Zum Mitschreiben: der Schutz der Bürger ist die erste Aufgabe eines Staates, ihr verdankt er seine Legitimation. So sehen es einhellig die Begründer des modernen Staatsrechts - Thomas Hobbes im Levitahan (1651) - der bekanntlich die absolute Monarchie präferierte, aber die Preisgabe der Schutzfunktion des Staats als die eine und einzige Rechtfertigung des Königsmords ansah; und John Locke, dessen Second Treatise on Government (1692), dem wir die Begründung der regelmäßigen Rechtfertigung der Regierungen durch Wahlen verdanken, der in diesem Bruch des contrat social durch den Staat dem Bürger freie Hand gibt, sich umgehend der Obrigkeit, gleich wie diese sich bislang legitimierte, zu entledigen. Man darf aber annehmen, daß dem Geistfreien, der sich diese Headline hat einfallen lassen, gemäß der flächendeckenden Ignoranz unserer Medienschaffenden in Bezug auf rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien derlei Aspekte Hekuba waren und es nur darum ging, im Wettbewerb um den imbezilsten Aufmacher den seit elf Jahren ungeschlagenen Spitzenreiter des FOCUS - Israel droht mit Selbstverteidigung - locker um etliche Stockwerke zu unterbieten.



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PS. Der Tagesspiegel ist nicht das einzige Organ der "vierten Gewalt", das sich an diesem Wochenende an diesem Wettbewerb beteiligt. Die Zeitung, hinter der nach früherer Eigenwerbung "immer ein kluges Kopf steckt", berichtete am Samstag über das Urteil in einem Prozeß gegen vier Angeklagte, die im Oktober 2014 im westfälischen Tönisvorst einen 81-jährigen Rentner in seinem Haus überfallen und so bestialisch gefoltert hatten, daß er die Tortur nicht überlebte, um an vermeintliche Informationen über Wertsachen zu gelangen. Bermerkenswerterweise wertete der Richter den Umstand, daß sie von ihrem Vorhaben abgelassen hatten, nachdem der Tod eintrat, als mildernden Umstand. Die Namen der Verurteilten (nach dem deutschen Presserecht werden aus Personenschutzgründen nur die Vornamen genannt) lauten, wie man den Presseberichten entnehmen kann: Murat C. (23), Hasrit S. (19), Madonna R. (23) und Meto K. (19). Nur macht die FAZ daraus Namen, die eineindeutig einer anderen Nationalität zuzuordnen sind, auf die man anscheinend, den Gehässigkeiten der Tagespolitik folgend, ad libitum mit der Tastatur einprügeln kann: "Jerzy S. und Mariusz F."


Das Motto der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lautet offenbar: "Ab 5 Uhr 45 wird zurückgeschrieben."

U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.